Morphologie

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Definition der Morphologie

Morphologie wird traditionell als die „Lehre von den Formen der Wörter“ definiert. Die Morphologie, auch als Morphemik bekannt, befasst sich mit der Lehre von der Form. Der Begriff wurde von Johann Wolfgang von Goethe eingeführt, der sie als eine Wissenschaft definierte, die "die speziellen und allgemeinen Strukturgesetzmäßigkeiten der von anderen Wissenschaften behandelten Gegenstände" untersuchen sollte. Goethes Konzept der „Allgemeinen Morphologie“, die disziplinübergreifend agieren und eine Vergleichbarkeit der Wissenschaften ermöglichen sollte, erscheint heute aufgrund der zunehmenden Spezialisierung und Komplexität der Wissenschaften nicht mehr realisierbar (Michel, 2020; Müller et al., 2022). Sie umfasst sowohl das sprachliche Teilsystem, das die Struktur von Wörtern untersucht, als auch das wissenschaftliche Studium dieses Systems. Sie bildet eine Schnittstelle zwischen Semiotik (Inhaltsanalyse) und Phonologie/Phonetik (Formanalyse) und untersucht die Wechselwirkungen zwischen der Wortform sowie deren Bedeutungs- und Lautstruktur (Michel, 2020).

Die Morphologie ist ein zentraler Bestandteil der Sprachwissenschaft mit weitreichenden Anwendungen, von der linguistischen Analyse bis zur Optimierung maschineller Systeme. Ihre interdisziplinäre Relevanz und die Vielzahl an Perspektiven unterstreichen ihre Bedeutung als Wissenschaft von der Form.

Morphologie in der Linguistik

Historische Grundlage

Im 19. Jahrhundert etablierte sich die Morphologie als eigenständige linguistische Disziplin. Wichtige Faktoren waren:

  • Die intensive Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache und ihrer Geschichte bis hin zur indogermanischen Sprachforschung.
  • Die Entdeckung und Analyse exotischer Sprachen im Zuge des Kolonialismus, die neue grammatikalische Strukturen offenbarten.
  • Der Versuch, Wissenschaften systematisch zu vergleichen und zu ordnen, wie es Goethe vorgeschlagen hatte (Michel, 2020).

Zu den prägenden Persönlichkeiten der Morphologie zählten Goethe, Jacob Grimm, Franz Bopp und Paul Hermann (Müller et al., 2022).

Form, Inhalt und Funktion

Form

In der Linguistik umfasst der Begriff der Form die lautliche und graphische Darstellung sprachlicher Zeichen. Zum Beispiel haben die Wörter Bund und bunt identische phonologische Formen, aber unterschiedliche Bedeutungen. Form beschreibt auch die Relationen innerhalb eines Systems, wie z. B. die verschiedenen grammatischen Funktionen des Wortes Hund im Satzkontext (Müller et al., 2022).

Inhalt

Der Inhalt bezieht sich auf die inneren Eigenschaften eines Objekts, die in einer spezifischen Form erscheinen. Inhalt und Form sind untrennbar miteinander verbunden (Michel, 2020).

Funktion

Die Funktion beschreibt die dynamischen Eigenschaften eines Systems, die Verhaltensweisen hervorbringen. Alle drei Aspekte – Form, Inhalt und Funktion – stehen in wechselseitiger Beziehung (Müller et al., 2022).

Skizzierung des Aufbaus eines Sprachsystems

Das Sprachsystem lässt sich grob in folgende Komponenten einteilen:

  • Phoneme (oder minimale bedeutungsunterscheidende Einheiten eines Textes), jedoch ohne inhaltliche Bedeutung /e:/ (langes e), /e/ (kurzes e)
  • Morpheme (oder minimale bedeutungstragende Einheiten); sie setzen sich aus einer Phonemfolge mit eigenem Inhalt zusammen: der, die, das, Mensch, Schrank
  • Wortform (oder minimale autonome Einheiten eines Textes); setzt sich aus einer starren Morphemfolge zusammen: Menschen, Schränke
  • Sätze (oder minimaler Text); sie besitzen sprachliche Strukturen, die Äußerungen darstellen und kommunikative Funktionen besitzen: Ich gehe einkaufen.

Arten der Wortbildung

Flexion

Hierzu zählen Konjugation und Deklination:
Ich lese ein Buch. (an das Grundmorphem les- wird e als Flexionsmorphem der 1. Person Singular Präsens Indikativ Aktiv angehängt)

Derivation

Durch die Kombination des Grundmorphems mit Affixen (Wortanhängen) entsteht eine Wortableitung:
Krankheit (an das Grundmorphem krank- wird -heit angehängt, ein Derivationsmorphem zur Substantivierung von Adjektiven)

Komposition

z.B. Informationswissenschaft : durch die Komposition der Morpheme Information und Wissenschaft entsteht ein Kompositum

Morphologie und ihre Bedeutung für die Informationswissenschaft

Die Vielfalt morphologischer Formen stellt Herausforderungen für die maschinelle Sprachverarbeitung dar. Fehlerhafte Flexionsformen können bei der Suche in Datenbanken zu unerwünschten Ergebnissen führen. Morphologische Analysen können jedoch dazu beitragen, Recall und Precision in Suchsystemen zu verbessern. Zum Beispiel könnte eine Suchanfrage nach Informationswissenschaft auch Treffer für Information und Wissenschaft liefern (Michel, 2020).

Darüber hinaus können morphologische Datenbanken wie MORPHY oder PC-KIMMO die maschinelle Übersetzung durch die korrekte Identifikation morphologischer Strukturen optimieren (Müller et al., 2022). Fehler wie die fehlerhafte Übersetzung von I’m driving to work by car in ich bin fahrend arbeiten von Auto lassen sich so vermeiden.

Quellen

  • Booij, Geert et al (Hrsg., 2000): Morphologie. Ein internationales Handbuch zur Flexion und Wortbildung. Walter de Gruyter, Berlin und New York
  • Klaus, Georg (1974): Funktion. In: Klaus & Buhr (Hrsg.)
  • Simmler, Franz (1988): Morphologie des Deutschen. Flexions- und Wortbildungsmorphologie. WEIDLER Buchverlag, Berlin
  • Warnke, Camilla (1974): Inhalt. In: Klaus & Buhr (Hrsg.)
  • Wildgen, Wolfgang (1984): Goethe als Wegbereiter einer universalen Morphologie. Linguistic Agency University of Trier, Trier

Links

(Alle Links wurden zuletzt am 15.01.2025 überprüft)

Verwandte Begriffe



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